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Altenhilfe als Begegnungsraum - passé?

Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Ausgabe 2/1994

Was leistet Altenarbeit für die Vernetzung älterer Menschen untereinander oder mit Anderen - und was könnte sie leisten? Was also passiert in der Altenhilfe, um älteren Menschen Begegnungsräume und Kontaktchancen zu verschaffen und sie dabei zu unterstützen, taugliche soziale Bindungen zuwege zu bringen. Welche Erfahrungen wurden dabei gemacht - und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus?

Die Fragen scheinen zunächst nicht so fernliegend: fehlen doch in kaum einem Altenplan, Konzeptionspapieren oder Broschüren zur offenen Altenhilfe entsprechende Zielproklamationen (etwa 'Begegnung zu ermöglichen', den 'Verlust von Kontakten auszugleichen' oder 'der Vereinsamung älterer Menschen entgegenzuwirken').

Doch tauchen beim Blättern in den Papieren auch schon erste Fragezeichen auf. Die Begriffe sind so unbestimmt: was ist z.B. gemeint, wenn es heißt, ältere Menschen mit Veranstaltungen zu Ostern, Neujahr oder Karneval für ein paar Stunden aus ihrer Einsamkeit herauszuholen? Was ist das für eine Einsamkeit, die mit zwei, drei Großveranstaltungen im Jahr angegangen werden kann?

Und was schließt man aus der Standardempfehlung, Begegnungsstätten auch an Wochenenden geöffnet zu halten, um die Nutzer dieser Einrichtungen vor einsamen Wochenenden zu bewahren. Was leisten denn die Angebote während der fünf Tage in der Woche, wenn auch treue Teilnehmer an den verbliebenen zweien niemanden haben sollen, mit dem sie privat etwas unternehmen können?

Und wie sind die Eindrücke aus Gesprächen mit Akteuren in der Altenhilfe einzuordnen, wo es entwarnend heißt, daß so viel für die älteren Menschen angeboten werde, da sei eigentlich für jeden etwas dabei?

Das 'eigentlich' läßt aufhorchen.

Ja, heißt es dann, es gebe halt eine Klientel, an die einfach nicht heranzukommen sei. Das wird dann ausdrücklich beklagt, sollen diese schwer erreichbaren älteren Menschen doch ausgerechnet jene sein, um die es eigentlich gehe.

Derweil geht die Arbeit weiter mit jenen, um die es offenbar eigentlich nicht geht. Auch die Altenhilfe will beschäftigt sein.

Freizeitangebote für Ältere dienen ja nun unterschiedlichen Zwecken: sie sind Zeitvertreib, Vergnügen, sie können Wissen vermitteln, zur Auseinandersetzung mit politischen oder kulturellen Gegenständen anleiten - und sie können Raum der Begegnung sein, wo persönliche Gespräche möglich sind, wo vertiefte Beziehungen eingegangen werden können. Die Zwecke können sich ergänzen oder zueinander in Konkurrenz geraten.

Zu befürchten ist, daß letzteres geschieht, daß die Förderung sozialer Kontakte in Konkurrenz gerät zu einer inflationär zunehmenden Zahl -agogischer, also bildnerischer, erzieherischer, Anliegen.

Ein zentraler Trend in der offenen Altenarbeit geht dorthin, daß Angebote sich nicht mehr egalitär einfach an die 'Alten' wenden, die z.B. in eine Begegnungsstätte kommen können, weil sie ein bestimmtes Alter haben und Geselligkeit mit Altergenossen suchen. Solche unspezifischen Angebote für Ältere sind auf dem Rückzug, auf dem Vormarsch sind Angebote, die spezifische Inhalte anbieten und als solche bei den Nutzern entsprechende Interessen voraussetzen. Alt zu sein allein reicht für die Inanspruchnahme der neuen Angebote als Grund nicht mehr aus.

Das geht einher mit den Anforderungen des neuen Leitbildes vom älteren Menschen, der aktiv ist, politisch, kulturell, an Bildung und überhaupt allem neuen interessiert ist. Der Englisch lernt, nicht weil das ein guter Anlaß ist, mit Gleichaltrigen etwas zu machen - sondern, weil man aus der Perfektionierung seiner Sprachkenntnisse Befriedigung zieht. Es wird Theater gespielt, getöpfert, Steptanz oder eine Zeitung gemacht - und gewetteifert mit Qualitätsmaßstäben, die von professionellen, bezahlten Jüngeren gesetzt werden (z.B. um Staunen zu erregen, was man in dem Alter noch kann). Bedürfnisse nach Anschluß und menschlichem Gespräch werden dabei zunehmend tabuisiert.

Oder ist die Meßlatte falsch? Vielleicht ist die Förderung sozialer Kontakte als Anliegen nur das überkommene Produkt eines falschen Bildes vom einsamen alten Menschen?

"Sind Clubs und Tagesstätten noch zu retten" fragte Roland Schmidt 1992. Seine Antwort: Mit den bekannten Proklamationen - Einsamkeit vermeiden helfen, Kennenlernmöglichkeiten anbieten - jedenfalls nicht. Denn:

"..es muß nachhaltig irritieren, wenn (fach-)öffentlich zusehends die thematischen Akzente auf Begriffe wie Kompetenz, Altersstrukturwandel, Differenzierung des Alters oder das 'brachliegende Alterskapital' gelegt werden, parallel aber die angesprochenen Dienste der offenen Altenhilfe ungebrochen davon ausgehen, daß Ältere der Hilfestellung durch die Gemeinschaft und der Anregung via altersspezifisch ausgerichteter Angebote bedürfen, um ihr weiteres Leben sinnerfüllt und in kommunikativem Rahmen verbringen zu können. ... Weder bedarf das Alter heute im allgemeinen der Integrations- und Gestaltungshilfen noch ist im allgemeinen ein Vergesellschaftungsdefizit im Westen der Republik zu unterstellen.." (Ev. Impulse, 1/92, S.6)

Die Stichworte sind damit gegeben: wir haben eine neues, positives Altersbild, wir haben einen Wandel des Alters, wir haben ein Alterskapital, wir brauchen, wenn überhaupt integrationsfördernde, dann intergenerationelle, Angebote. Und das alles scheinen Argumente zu sein, um altersspezifische kontaktfördernde Angebote abzulehnen.

Tatsächlich zeichnet sich die fachöffentliche 'Debatte' durch eine bemerkenswerte Uniformität der Standpunkte aus. Auf der einen Seite die Beschwörung des positiven Altersbildes, der Kampf gegen das Defizitmodell des Alterns, die Rede vom Strukturwandel des Alters und die Forderung nach einer anderen, den gerontologischen 'Erkenntnissen' angepaßten Altenhilfe.

Parallel wird die traditionelle Altenarbeit mit Häme überschüttet: die traditionellen Angebote der Altenhilfe seien dem negativen Altersbild verhaftet, seien lediglich auf Betreuung der Alten ausgerichtet, bestärkten sie in ihrer Passivität. Das Etitkett Kaffee-Kuchen-Diavortragsaltenarbeit wird augenzwinkernd - jeder weiß ja, was gemeint ist - ein weiteres Mal verliehen.

Dagegengestellt werden vermeintlich neue Formen der Altenarbeit, die sich mit den Stichworten 'nicht für (Alte), sondern mit (Alten)' bzw. 'von - für', Selbsthilfe, Seniorenuniversität, Seniorentheater, Kompanie des guten Willens, Werkhaus Anti-Rost, Wissensbörse und Senioren-Expertenservice schon fast vollständig umreißen lassen.

Meine Kritik an dieser Art der 'Debatte' ist vor allem die: die traditionelle offene Altenarbeit in Begegnungsstätten, Klubs, Neigungsgruppen und Einzelveranstaltungen war in den 70er Jahren von Ländern und Kommunen mit dem zentralen Anspruch forciert gefördert worden, Einsamkeit bei älteren Menschen zu vermeiden, älteren Menschen Raum für Begegnung und Kommunikation zu geben.

An d i e s e m Anspruch aber wird das Programm nicht gemessen.

Schauen wir mal näher, warum eigentlich nicht.

Das neue Altersbild Wir haben zunächst einmal eine Gerontologie, die in Deutschland seit über zwanzig Jahren einen Kampf gegen das angeblich in der Gesellschaft vorherrschende falsche Altersbild führt.

Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob die Idee, daß es ein kompaktes, ein typisches und gesamtgesellschaftliches Bild vom Alter gibt, das sich als solches irgendwo zwischen negativ und positiv einordnen lassen könnte, nicht vom Ansatz her schon in die Irre führt.

Übergehen wir auch mal die Frage, ob die Vorurteile, denen Ältere ausgesetzt sind, tatsächlich so dramatisch schlecht sind, wie die Verfechter des positiven Altersbildes uns Glauben machen wollen.

Wichtiger ist, was als positives Altersbild gemeinhin vorgeschlagen wird - der leistungsfähige, integrierte, bildungsbeflissene ältere Mensch. Und, damit einhergehend, der Gedanke von der self-fullfilling prophecy, nach der z.B. die Rede über Einsamkeit im Alter gerade dazu beitragen könnte, daß ältere Menschen einsam werden. Ältere, so die Annahme, internalisieren, also verinnerlichen, das ihnen zugetragene Altersbild und richten sich unbewußt danach. So wird es geradezu zur moralischen Pflicht, ein schönes Bild vom Altern in Deutschland zu malen.

Die Einsamkeitsdebatte Setzen wir uns über solche Bedenken weg und schauen einmal, wie es mit der sozialen Integration älterer Menschen bestellt ist (ohne anzunehmen, daß die Kontaktsituation jüngerer Menschen weniger problematisch sei).

Nach einer Mitte der 70er Jahre in Köln durchgeführten Untersuchung hatten mehr als 75% der über 65jährigen keinen Kontakt zu Freunden oder Bekannten. Ohne jegliche Kontaktperson, also ohne Partner, ohne Kontakt zu Verwandten, Freunden, Nachbarn, Kollegen oder Betreuern waren 9% der Befragten. (Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Die gesundheitliche und soziale Situation älterer Menschen in der Großstadt, Stuttgart 1979, S.121ff)

Diese Studie ist sehr bekannt. Dennoch findet sich in der Literatur die verbreitete Auffassung einer bei der großen Mehrheit der Älteren günstigen Kontaktsituation.

Das ist möglich, weil dabei im wesentlichen auf subjektive Daten Bezug genommen wird. So finden sich die o.g. Zahlen aus der Kölner Untersuchung recht selten zitiert. Häufiger angeführt werden Angaben zu 'vermißten Kontakten'. In derselben Befragung gaben z.B. 94% der Befragten an, daß 'enge Freundschaften' von ihnen nicht vermißt werden. Dabei scheint es den Trend zu geben, daß, je weniger Kontakte man hat, desto weniger werden auch vermißt.

Die Ergebnisse hinterlassen Ratlosigkeit. Hier jedenfalls soll kein Deutungsversuch gewagt werden. Wichtig ist anzuerkennen, daß die Frage 'einsam oder nicht einsam' trickreicher ist, als scheinbar klare Befunde wie: 'nur 6% der älteren leiden unter Einsamkeit' suggerieren.

Bei solchen Befunden, das sei noch angemerkt, wird Einsamkeit im Unterschied zur Isolation als pures Gefühl betrachtet.

Ich fühle mich manchmal einsam, klingt dann ganz harmlos, ganz normal. Ignoriert wird dabei, daß hinter dem 'Gefühl' auch eine Bilanz der eigenen Kontaktsituation stehen könnte, deren Ergebnis ganz unberührt davon bleibt, ob sie häufig oder selten gezogen wird.

Eine Revision der psychologistischen Deutungsweise von Einsamkeit - Einsamkeit als reines Gefühl, dessen Da- und Sosein nicht weiter hinterfragt werden könnte - wird dort bedeutsam, wo Sozialpolitik sich vorschnell aus der Verantwortung entlassen sieht.

So heißt es z.B. in den "Empfehlungen zur Altenhilfe" des Landkreistages Baden-Württemberg: "Es gibt nicht Hilfeangebote für jedes Problem; sehr vieles ist eben gerade im Alter im Fühlen und Empfinden, in der 'emotionalen Befindlichkeit' angesiedelt..." (1987, S. 45; Hervorhebung C.C.)

Der Betreuungsvorwurf Ideologisch gerüstet mit dem positiven Altersbild wird zum Sturm auf die traditionelle Altenhilfe geblasen, die dem falschen, dem negativen Altersbild anhängen soll.

Da es anläßlich der Meinung, daß Kontaktdefizite im Alter kaum eine Rolle spielen, keinen Grund gibt, Begegnungsstätten und Altenklubs an ihrer Leistung bei der Bereitstellung individuell gestaltbarer Kontakte zu messen, kommen andere Maßstäbe zum Zuge.

In der traditionellen Altenarbeit, so heißt es, werden die Älteren vorwiegend betreut und in einer passiven Konsumhaltung bestärkt. Kaffeetrinken, Vorträge anhören, sich alles vorsetzen lassen - so stellt sich das Leben in den Begegnungsstätten in der Sicht mancher Kritiker dar.

Doch die Kritik an Begegnungsstätten und Altenklubs ist zum Teil noch viel grundsätzlicher: vielfach wird die Ansicht vertreten, daß 'Altenghettos' an sich abzulehnen seien, da sie dem erwünschten intergenerationellen Austausch im Wege ständen.

Die Berechtigung der Kritik an der traditionellen Altenarbeit wird zusätzlich gerne daraus abgeleitet, daß die Besucherzahlen in den Begegnungsstätten rückgängig seien, was manchmal mit unverhohlener Schadenfreude registriert wird. Haben die Protagonisten einer neuen Altenarbeit doch schon seit Jahren darauf hingewiesen, daß die traditionellen Angebotsformen an den Interessen der jungen Alten vorbeigingen.

Diese Kritik hat die traditionelle Altenarbeit nicht verdient. Bedacht werden sollte:

Wer Konsumhaltung und Passivität in Klubs und Begegnungsstätten anklagt, weiß entweder nicht was dort alles läuft, oder aber es gelten einfach alle Aktivitäten als passiv, die Normen des gehobenen Kulturkonsums nicht genügen.

Und selbst wenn sich z.B. Altenklubs lediglich zum Kaffeetrinken an fremdem Ort zusammenfinden, die passenden Grüppchen bilden, informell Gesprächsthemen organisieren und darauf achten, daß keiner zu kurz kommt, Ausflüge planen oder bei anderer Gelegenheit einen Vortrag anhören - was ist daran eigentlich passiver als der angesehene Kulturkonsum wie Theater- oder Museumsbesuche?

In den 70er Jahren gab es einen Gründungsboom an Begegnungsstätten und Altenklubs. Die Mitgliedskohorten von damals scheiden aus, und es ist selbstverständlich, daß es schwer ist, Neue in schon lange bestehende Gruppen zu integrieren. Es gibt Beispiele von neu eingerichteten Altenklubs und Begegnungsstätten, die auch bei den jüngeren Älteren auf bemerkenswerte Resonanz stoßen.

Die finanziellen Mittel für Begegnungsstätten sind in vielen Kommunen radikal gekürzt worden. Die Möglichkeiten für attraktive Arbeit und damit auch zur Neurekrutierung von Interessenten sind gesunken. Die dann sinkenden Besucherzahlen werden schnell zum Argument für eine weitere Reduktion der Zuwendungen.

Der 'Strukturwandel des Alters' Nach 'die Alten werden immer älter' und 'die Alten werden immer mehr' wird seit neuerem mehr noch der Alterswandel als Argument für Forderungen nach Innovationen in der Altenhilfe benannt.

Die nachrückenden Kohorten werden in der Tat im Schnitt gebildeter sein, mehr Geld haben usw. Aber: es handelt sich dabei nur Verschiebungen in Proportionen: vielleicht wird die Zahl der extrem armen Älteren etwas abnehmen und das Einkommen der Reichen ein gutes Stück zunehmen. Was soll man daraus für die Altenhilfe schließen?

Natürlich gibt es auch einen kulturellen Wandel, grenzen sich nachfolgende Kohorten voneinander ab und werden unterscheidbar. Aber ähnlich wie bei den bekannten Jugendtrends zeigen diese Trends immer nur einen kleinen Ausschnitt aus einer Kohorte - im Kern vielleicht 2 oder 3%.

Solche Trends können immer ein Anlaß sein für neue zusätzliche Angebote für den Bedarf einer in Erscheinung tretenden Minderheit - zur Begründung von Forderungen nach einem Wandel der Altenhilfe insgesamt taugen sie nichts.

Leider fast unbeachtet bleibt die für die offene (soziokulturelle) Altenhilfe wohl dramatischste demographische Veränderung: die Geschlechterverhältnisse im Alter werden sich in Zukunft tendenziell angleichen - mit entsprechenden Auswirkungen auf Anzahl, Lebenschancen und Lebensgefühl alleinstehender alter Frauen, der klassischen Klientel bisheriger Altenhilfe.

Die neuen Angebote Parallel zu den Einwänden gegen die traditionelle Altenarbeit werden neue Angebote entwickelt oder gefordert, die sich um drei Stichworte gruppieren lassen.

...Stichwort Alterskapital

Kaum ein Beitrag zur Altenhilfe, bei dem nicht mit Pathos die wirklich dämliche Rede von der 'Alterslast' zurückgewiesen und stattdessen auf ein 'Alterskapital' hingewiesen wird, das es zu nutzen gelte. Im Zusammenhang damit werden Projekte genannt wie Senioren-Experten-Services, Wissensbörsen, ehrenamtliche Reparaturdienste und ähnliches.

Fragen wir mal, wie man überhaupt auf einen Begriff wie 'Alterskapital' oder gar 'Altersschatz' kommt. Die Älteren, lautet eine Antwort, dürfe man nicht abschreiben, die hätten im Gegenteil viel an Erfahrung in die Gesellschaft einzubringen.

Das allerdings ist kein Novum: fast immer in der Menschheitsgeschichte waren ältere Menschen so weit eingespannt, wie es ihre Kräfte eben ermöglichten. Je nachdem, was ihre Gesundheit zugelassen hat und welchen Platz sie in der Gesellschaft einnahmen, haben sie Jüngere dabei übertroffen, oder sie mußten zurückstecken oder sie übernahmen andere Aufgaben.

Erst die Ausgliederung älterer Menschen aus dem Erwerbsleben, erst der Umstand, daß die Wirtschaft keine Verwendung für die älteren Menschen mehr hat und deren Ausgliederung von der Politik geduldet oder gefördert wird, gibt den Hintergrund für die Entdeckung des 'Alterskapitals'.

Der Gedanke, daß die Alten doch zu etwas nützlich sein könnten - nämlich in unbezahlter, ehrenamtlicher Tätigkeit - setzt gerade voraus, daß die Adressaten des 'Macht - euch - nützlich' Apells zu den angebotenen Tätigkeiten (z.B. pädagogisch angeleitete Lebenserfahrungsvermittlungsstellen) keine Alternative haben.

Der 'Altersschatz' ist nur die euphemistische Umschreibung dieser Situation.

...Stichwort Bildung und Kultur

Die neuen Bildungs- und Kreativangebote von der Seniorenuniversität bis zum Seniorentheater sind eine erfreuliche Ergänzung des Seniorenfreizeitmarktes.

Bedacht werden sollte aber, daß damit nur eine recht kleine Gruppe unter den Älteren erreicht wird.

Zu kritisieren ist, wenn die studierenden und Theater spielenden Alten ihren Altersgenossen als Vorbilder präsentiert werden, sie als Avantgarde erscheinen, der über kurz oder lang auch die anderen Alten folgen sollten - mit der naheliegenden Suggestion, daß die vorhandenen Mittel in solch zukunftsweisenden Projekten besonders gut investiert seien.

Die neuen anspruchsvollen soziokulturellen Angebote in der Altenhilfe sind nun mal am positiven Altersbild orientiert, und das heißt vor allem: an bildungsbürgerlichen Lebensmustern.

Sie sind damit im wesentlichen schicht-, auf jeden Fall aber gruppenbezogen.

...Stichwort intergenerationeller Austausch

Für die Förderung intergenerationellen Austausches anstatt von 'Altenghettos' (wie Altenbegegnungsstätten) interessieren sich Sozialwissenschaftler und Politiker häufig aus anderen als den bekannten Motiven. Nicht die anrührende Suggestion der 'Alt und Jung zusammen' Plakate, sondern handfeste sozialtechnologische Gründe - die Sorge vor dem Entstehen einer Altensubkultur, einer Altenmacht - spielen hier eine Rolle.

Begleitet wird die Programmatik zumeist von einer karikaturistischen Repräsentation des negativen Altersbildes in der Gesellschaft. Denn: wenn das vorherrschende Altersbild die Älteren tatsächlich als hilfebedürftige, halsstarrige und lernunfähige Wesen sieht, dann bedürfte es in der Tat nur der Begegnung zwischen den Generationen, um hier korrigierend einzuwirken. Verständigung zwischen den Generationen herbeizuführen wären also ein leichtes.

So ist es aber ja nicht. Es gibt vielfältige Differenzen zwischen den Alterskohorten, die ein Sich-Verstehen nicht leicht machen. Im intergenerationellen Austausch drohen die Älteren dabei als den berufstätigen, gesunderen und selbstbewußteren Kohorten im Status unterlegene Gruppe schnell untergebuttert zu werden. Mein Verdacht ist, daß 'Integration der älteren Menschen in die Gesellschaft' leider häufig so gemeint ist: die Anpassung der Älteren an die Werte und Lebenshaltung der Jüngeren, der 'Repräsentanten des Neuen'.

Ein fairer Dialog zwischen Jung und Alt wird aber nur dort zustande kommen, wo auch Ältere zunächst einmal die Möglichkeit haben, ganz ohne intergenerationelle Drangsalierung eigene Standpunkte zu entwickeln und damit Selbstbewußtsein zu gewinnen.

Angemerkt sei noch, daß der intergenerationelle Austausch das Anliegen einer Bildungsschicht zu sein scheint, in der die Distanz zur eigenen Altersgruppe häufig besonders ausgeprägt ist. 'Man fühlt sich noch jung' und sagt von sich, man habe viel mehr und viel lieber mit Jüngeren zu tun. Benachteiligten Älteren steht dieses Profil kaum zur Verfügung, schon weil sie nicht die erfolgreichen Vorzeigeälteren mit Vorbildcharakter für die Jugend sind.

Fazit Die Frage, was einzelne Angebotsformen für die Vernetzung älterer Menschen leisten, kommt in der aktuellen Debatte um Innovationen in der Altenhilfe nicht vor. Sie wird verdrängt vom schönen Altersbild und bildungsbürgerlichen Zielvorgaben. Nur vordergründig handelt es sich dabei um rein normative Orientierungen.

Das neue Altersbild ist das Bild vom gesunden, integrierten, selbstbewußten Älteren, des mit Bildung und Geld ausgestatteten älteren Menschen. Die neuen Angebote nach Maßgabe dieses Altersbildes sind Angebote für eine privilegierte, jedenfalls kleine Gruppe unter den Älteren.

Die Seniorenstudenten und -experten, die Theaterspieler und Seniorenredakteure, die Kulturkonsumenten und Selbsthilfeaktivisten sind keine Avantgarde. Ihre Aktivitäten kommen für viele andere Ältere auch bei noch so gutem Zureden a priori nicht in Frage.

Werden die Forderungen nach der skizzierten 'neuen Altenarbeit' der traditionellen Altenhilfe entgegengestellt, dann sollte auch gesagt werden, um was es dabei geht: um den Vorschlag, sozialpolitische Mittel einer benachteiligten Schicht, zumindest einer bestimmten Adressatengruppe, zu nehmen, und anderen, vermutlich einer privilegierten Schicht mit anderen Bedarfen, zu geben.

Ein letzter Gedanke: Häme und Spott über Angebote der Altenhilfe auszuschütten ist weder bei der traditionellen Altenarbeit noch bei den neuen Angebotsformen schwierig, weil beide versuchen, Benachteiligungen ihrer Adressaten aufzufangen und dabei manchmal recht hilflos wirken.

Ein solches Gegeneinander der Strömungen müßte nicht sein. Bei begrenzten finanziellen Mitteln gibt es reale Konflikte in diesem Bereich. Sie sollten fair, ohne avantgardistischen Anspruch, sondern in wechselseitigem Respekt für die Bedarfe der anderen ausgetragen werden.

Christian Carls

 

 

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