Kritische Gerontologie im Internet |
Altenhilfe als Begegnungsraum - passé?
Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Ausgabe 2/1994
Was leistet Altenarbeit für die Vernetzung älterer Menschen
untereinander oder mit Anderen - und was könnte sie leisten?
Was also passiert in der Altenhilfe, um älteren Menschen
Begegnungsräume und Kontaktchancen zu verschaffen
und sie dabei zu unterstützen, taugliche soziale Bindungen
zuwege zu bringen. Welche Erfahrungen wurden dabei gemacht - und
welche Möglichkeiten ergeben sich daraus?
Die Fragen scheinen zunächst nicht so fernliegend: fehlen
doch in kaum einem Altenplan, Konzeptionspapieren oder Broschüren
zur offenen Altenhilfe entsprechende Zielproklamationen (etwa
'Begegnung zu ermöglichen', den 'Verlust von Kontakten auszugleichen'
oder 'der Vereinsamung älterer Menschen entgegenzuwirken').
Doch tauchen beim Blättern in den Papieren auch schon erste
Fragezeichen auf. Die Begriffe sind so unbestimmt: was ist z.B.
gemeint, wenn es heißt, ältere Menschen mit Veranstaltungen
zu Ostern, Neujahr oder Karneval für ein paar Stunden
aus ihrer Einsamkeit herauszuholen? Was ist das
für eine Einsamkeit, die mit zwei, drei Großveranstaltungen
im Jahr angegangen werden kann?
Und was schließt man aus der Standardempfehlung, Begegnungsstätten
auch an Wochenenden geöffnet zu halten, um die Nutzer
dieser Einrichtungen vor einsamen Wochenenden zu bewahren. Was
leisten denn die Angebote während der fünf Tage in der
Woche, wenn auch treue Teilnehmer an den verbliebenen zweien niemanden
haben sollen, mit dem sie privat etwas unternehmen können?
Und wie sind die Eindrücke aus Gesprächen mit Akteuren
in der Altenhilfe einzuordnen, wo es entwarnend heißt, daß
so viel für die älteren Menschen angeboten werde, da
sei eigentlich für jeden etwas dabei?
Das 'eigentlich' läßt aufhorchen.
Ja, heißt es dann, es gebe halt eine Klientel, an die einfach
nicht heranzukommen sei. Das wird dann ausdrücklich beklagt,
sollen diese schwer erreichbaren älteren Menschen
doch ausgerechnet jene sein, um die es eigentlich gehe.
Derweil geht die Arbeit weiter mit jenen, um die es offenbar eigentlich
nicht geht. Auch die Altenhilfe will beschäftigt sein.
Freizeitangebote für Ältere dienen ja nun unterschiedlichen
Zwecken: sie sind Zeitvertreib, Vergnügen,
sie können Wissen vermitteln, zur Auseinandersetzung
mit politischen oder kulturellen Gegenständen anleiten -
und sie können Raum der Begegnung sein, wo
persönliche Gespräche möglich sind, wo vertiefte
Beziehungen eingegangen werden können. Die Zwecke können
sich ergänzen oder zueinander in Konkurrenz geraten.
Zu befürchten ist, daß letzteres geschieht, daß
die Förderung sozialer Kontakte in Konkurrenz gerät
zu einer inflationär zunehmenden Zahl -agogischer,
also bildnerischer, erzieherischer, Anliegen.
Ein zentraler Trend in der offenen Altenarbeit geht
dorthin, daß Angebote sich nicht mehr egalitär einfach
an die 'Alten' wenden, die z.B. in eine Begegnungsstätte
kommen können, weil sie ein bestimmtes Alter haben und Geselligkeit
mit Altergenossen suchen. Solche unspezifischen Angebote
für Ältere sind auf dem Rückzug,
auf dem Vormarsch sind Angebote, die spezifische
Inhalte anbieten und als solche bei den Nutzern entsprechende
Interessen voraussetzen. Alt zu sein allein reicht für
die Inanspruchnahme der neuen Angebote als Grund nicht mehr aus.
Das geht einher mit den Anforderungen des neuen Leitbildes
vom älteren Menschen, der aktiv ist, politisch, kulturell,
an Bildung und überhaupt allem neuen interessiert ist. Der
Englisch lernt, nicht weil das ein guter Anlaß ist, mit
Gleichaltrigen etwas zu machen - sondern, weil man aus der Perfektionierung
seiner Sprachkenntnisse Befriedigung zieht. Es wird Theater gespielt,
getöpfert, Steptanz oder eine Zeitung gemacht - und gewetteifert
mit Qualitätsmaßstäben, die von professionellen,
bezahlten Jüngeren gesetzt werden (z.B. um Staunen zu erregen,
was man in dem Alter noch kann). Bedürfnisse nach Anschluß
und menschlichem Gespräch werden dabei zunehmend tabuisiert.
Oder ist die Meßlatte falsch? Vielleicht ist
die Förderung sozialer Kontakte als Anliegen nur das überkommene
Produkt eines falschen Bildes vom einsamen alten Menschen?
"Sind Clubs und Tagesstätten noch zu retten"
fragte Roland Schmidt 1992. Seine Antwort: Mit den bekannten Proklamationen
- Einsamkeit vermeiden helfen, Kennenlernmöglichkeiten anbieten
- jedenfalls nicht. Denn:
"..es muß nachhaltig irritieren, wenn (fach-)öffentlich
zusehends die thematischen Akzente auf Begriffe wie Kompetenz,
Altersstrukturwandel, Differenzierung des Alters oder
das 'brachliegende Alterskapital' gelegt werden,
parallel aber die angesprochenen Dienste der offenen Altenhilfe
ungebrochen davon ausgehen, daß Ältere der Hilfestellung
durch die Gemeinschaft und der Anregung via altersspezifisch
ausgerichteter Angebote bedürfen, um ihr weiteres Leben sinnerfüllt
und in kommunikativem Rahmen verbringen zu können.
... Weder bedarf das Alter heute im allgemeinen der Integrations-
und Gestaltungshilfen noch ist im allgemeinen ein Vergesellschaftungsdefizit
im Westen der Republik zu unterstellen.." (Ev. Impulse,
1/92, S.6)
Die Stichworte sind damit gegeben: wir haben eine neues,
positives Altersbild, wir haben einen Wandel des
Alters, wir haben ein Alterskapital, wir
brauchen, wenn überhaupt integrationsfördernde, dann
intergenerationelle, Angebote. Und das alles scheinen
Argumente zu sein, um altersspezifische kontaktfördernde
Angebote abzulehnen.
Tatsächlich zeichnet sich die fachöffentliche 'Debatte'
durch eine bemerkenswerte Uniformität der Standpunkte aus.
Auf der einen Seite die Beschwörung des positiven Altersbildes,
der Kampf gegen das Defizitmodell des Alterns, die
Rede vom Strukturwandel des Alters und die Forderung
nach einer anderen, den gerontologischen 'Erkenntnissen'
angepaßten Altenhilfe.
Parallel wird die traditionelle Altenarbeit mit Häme überschüttet:
die traditionellen Angebote der Altenhilfe seien dem negativen
Altersbild verhaftet, seien lediglich auf Betreuung
der Alten ausgerichtet, bestärkten sie in ihrer Passivität.
Das Etitkett Kaffee-Kuchen-Diavortragsaltenarbeit
wird augenzwinkernd - jeder weiß ja, was gemeint ist - ein
weiteres Mal verliehen.
Dagegengestellt werden vermeintlich neue Formen der Altenarbeit,
die sich mit den Stichworten 'nicht für (Alte),
sondern mit (Alten)' bzw. 'von
- für', Selbsthilfe, Seniorenuniversität,
Seniorentheater, Kompanie des guten Willens, Werkhaus Anti-Rost,
Wissensbörse und Senioren-Expertenservice
schon fast vollständig umreißen lassen.
Meine Kritik an dieser Art der 'Debatte' ist vor allem die: die
traditionelle offene Altenarbeit in Begegnungsstätten, Klubs,
Neigungsgruppen und Einzelveranstaltungen war in den 70er Jahren
von Ländern und Kommunen mit dem zentralen Anspruch forciert
gefördert worden, Einsamkeit bei älteren Menschen zu
vermeiden, älteren Menschen Raum für Begegnung und Kommunikation
zu geben.
An d i e s e m Anspruch aber wird das Programm nicht gemessen.
Schauen wir mal näher, warum eigentlich nicht.
Das neue Altersbild
Wir haben zunächst einmal eine Gerontologie, die in Deutschland
seit über zwanzig Jahren einen Kampf gegen das angeblich
in der Gesellschaft vorherrschende falsche Altersbild
führt.
Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob die Idee, daß es
ein kompaktes, ein typisches und gesamtgesellschaftliches Bild
vom Alter gibt, das sich als solches irgendwo zwischen negativ
und positiv einordnen lassen könnte, nicht vom Ansatz her
schon in die Irre führt.
Übergehen wir auch mal die Frage, ob die Vorurteile, denen
Ältere ausgesetzt sind, tatsächlich so dramatisch schlecht
sind, wie die Verfechter des positiven Altersbildes uns Glauben
machen wollen.
Wichtiger ist, was als positives Altersbild gemeinhin
vorgeschlagen wird - der leistungsfähige, integrierte, bildungsbeflissene
ältere Mensch. Und, damit einhergehend, der Gedanke von der
self-fullfilling prophecy, nach der z.B. die Rede
über Einsamkeit im Alter gerade dazu beitragen könnte,
daß ältere Menschen einsam werden. Ältere, so
die Annahme, internalisieren, also verinnerlichen, das ihnen zugetragene
Altersbild und richten sich unbewußt danach. So
wird es geradezu zur moralischen Pflicht, ein schönes Bild
vom Altern in Deutschland zu malen.
Die Einsamkeitsdebatte
Setzen wir uns über solche Bedenken weg und schauen einmal,
wie es mit der sozialen Integration älterer Menschen bestellt
ist (ohne anzunehmen, daß die Kontaktsituation jüngerer
Menschen weniger problematisch sei).
Nach einer Mitte der 70er Jahre in Köln durchgeführten
Untersuchung hatten mehr als 75% der über 65jährigen
keinen Kontakt zu Freunden oder Bekannten. Ohne jegliche Kontaktperson,
also ohne Partner, ohne Kontakt zu Verwandten, Freunden, Nachbarn,
Kollegen oder Betreuern waren 9% der Befragten. (Bundesminister
für Jugend, Familie und Gesundheit: Die gesundheitliche und
soziale Situation älterer Menschen in der Großstadt,
Stuttgart 1979, S.121ff)
Diese Studie ist sehr bekannt. Dennoch findet sich in der Literatur
die verbreitete Auffassung einer bei der großen Mehrheit
der Älteren günstigen Kontaktsituation.
Das ist möglich, weil dabei im wesentlichen auf subjektive
Daten Bezug genommen wird. So finden sich die o.g. Zahlen aus
der Kölner Untersuchung recht selten zitiert. Häufiger
angeführt werden Angaben zu 'vermißten
Kontakten'. In derselben Befragung gaben z.B. 94%
der Befragten an, daß 'enge Freundschaften' von ihnen nicht
vermißt werden. Dabei scheint es den Trend zu geben, daß,
je weniger Kontakte man hat, desto weniger werden auch vermißt.
Die Ergebnisse hinterlassen Ratlosigkeit. Hier jedenfalls soll
kein Deutungsversuch gewagt werden. Wichtig ist anzuerkennen,
daß die Frage 'einsam oder nicht einsam' trickreicher
ist, als scheinbar klare Befunde wie: 'nur 6% der
älteren leiden unter Einsamkeit' suggerieren.
Bei solchen Befunden, das sei noch angemerkt, wird Einsamkeit
im Unterschied zur Isolation als pures Gefühl
betrachtet.
Ich fühle mich manchmal einsam, klingt dann ganz harmlos,
ganz normal. Ignoriert wird dabei, daß hinter dem 'Gefühl'
auch eine Bilanz der eigenen Kontaktsituation stehen
könnte, deren Ergebnis ganz unberührt
davon bleibt, ob sie häufig oder selten gezogen wird.
Eine Revision der psychologistischen Deutungsweise von Einsamkeit
- Einsamkeit als reines Gefühl, dessen Da- und Sosein nicht
weiter hinterfragt werden könnte - wird dort bedeutsam, wo
Sozialpolitik sich vorschnell aus der Verantwortung entlassen
sieht.
So heißt es z.B. in den "Empfehlungen zur Altenhilfe"
des Landkreistages Baden-Württemberg: "Es gibt nicht
Hilfeangebote für jedes Problem; sehr vieles ist eben gerade
im Alter im Fühlen und Empfinden, in der 'emotionalen
Befindlichkeit' angesiedelt..." (1987, S. 45; Hervorhebung
C.C.)
Der Betreuungsvorwurf
Ideologisch gerüstet mit dem positiven Altersbild wird zum
Sturm auf die traditionelle Altenhilfe geblasen,
die dem falschen, dem negativen Altersbild anhängen soll.
Da es anläßlich der Meinung, daß Kontaktdefizite
im Alter kaum eine Rolle spielen, keinen Grund gibt, Begegnungsstätten
und Altenklubs an ihrer Leistung bei der Bereitstellung individuell
gestaltbarer Kontakte zu messen, kommen andere Maßstäbe
zum Zuge.
In der traditionellen Altenarbeit, so heißt es, werden die
Älteren vorwiegend betreut und in einer passiven Konsumhaltung
bestärkt. Kaffeetrinken, Vorträge
anhören, sich alles vorsetzen lassen
- so stellt sich das Leben in den Begegnungsstätten in der
Sicht mancher Kritiker dar.
Doch die Kritik an Begegnungsstätten und Altenklubs ist zum
Teil noch viel grundsätzlicher: vielfach wird die Ansicht
vertreten, daß 'Altenghettos' an sich abzulehnen
seien, da sie dem erwünschten intergenerationellen Austausch
im Wege ständen.
Die Berechtigung der Kritik an der traditionellen Altenarbeit
wird zusätzlich gerne daraus abgeleitet, daß die Besucherzahlen
in den Begegnungsstätten rückgängig seien, was
manchmal mit unverhohlener Schadenfreude registriert wird. Haben
die Protagonisten einer neuen Altenarbeit doch schon seit Jahren
darauf hingewiesen, daß die traditionellen Angebotsformen
an den Interessen der jungen Alten vorbeigingen.
Diese Kritik hat die traditionelle Altenarbeit nicht
verdient. Bedacht werden sollte:
Wer Konsumhaltung und Passivität in Klubs und Begegnungsstätten
anklagt, weiß entweder nicht was dort alles läuft,
oder aber es gelten einfach alle Aktivitäten als passiv,
die Normen des gehobenen Kulturkonsums nicht genügen.
Und selbst wenn sich z.B. Altenklubs lediglich zum Kaffeetrinken
an fremdem Ort zusammenfinden, die passenden Grüppchen bilden,
informell Gesprächsthemen organisieren und darauf achten,
daß keiner zu kurz kommt, Ausflüge planen oder bei
anderer Gelegenheit einen Vortrag anhören - was ist daran
eigentlich passiver als der angesehene Kulturkonsum wie Theater-
oder Museumsbesuche?
In den 70er Jahren gab es einen Gründungsboom an Begegnungsstätten
und Altenklubs. Die Mitgliedskohorten von damals scheiden aus,
und es ist selbstverständlich, daß es schwer ist, Neue
in schon lange bestehende Gruppen zu integrieren. Es gibt Beispiele
von neu eingerichteten Altenklubs und Begegnungsstätten,
die auch bei den jüngeren Älteren auf bemerkenswerte
Resonanz stoßen.
Die finanziellen Mittel für Begegnungsstätten sind
in vielen Kommunen radikal gekürzt worden. Die Möglichkeiten
für attraktive Arbeit und damit auch zur Neurekrutierung
von Interessenten sind gesunken. Die dann sinkenden Besucherzahlen
werden schnell zum Argument für eine weitere Reduktion der
Zuwendungen.
Der 'Strukturwandel des Alters'
Nach 'die Alten werden immer älter' und 'die
Alten werden immer mehr' wird seit neuerem mehr noch der
Alterswandel als Argument für Forderungen nach
Innovationen in der Altenhilfe benannt.
Die nachrückenden Kohorten werden in der Tat im Schnitt gebildeter
sein, mehr Geld haben usw. Aber: es handelt sich
dabei nur Verschiebungen in Proportionen: vielleicht
wird die Zahl der extrem armen Älteren etwas
abnehmen und das Einkommen der Reichen ein gutes Stück zunehmen.
Was soll man daraus für die Altenhilfe schließen?
Natürlich gibt es auch einen kulturellen Wandel,
grenzen sich nachfolgende Kohorten voneinander ab und werden unterscheidbar.
Aber ähnlich wie bei den bekannten Jugendtrends zeigen diese
Trends immer nur einen kleinen Ausschnitt aus einer Kohorte -
im Kern vielleicht 2 oder 3%.
Solche Trends können immer ein Anlaß sein für
neue zusätzliche Angebote für den Bedarf
einer in Erscheinung tretenden Minderheit - zur Begründung
von Forderungen nach einem Wandel der Altenhilfe insgesamt taugen
sie nichts.
Leider fast unbeachtet bleibt die für die offene (soziokulturelle)
Altenhilfe wohl dramatischste demographische Veränderung:
die Geschlechterverhältnisse im Alter werden sich in Zukunft
tendenziell angleichen - mit entsprechenden Auswirkungen auf Anzahl,
Lebenschancen und Lebensgefühl alleinstehender alter Frauen,
der klassischen Klientel bisheriger Altenhilfe.
Die neuen Angebote
Parallel zu den Einwänden gegen die traditionelle Altenarbeit
werden neue Angebote entwickelt oder gefordert, die sich um drei
Stichworte gruppieren lassen.
...Stichwort Alterskapital
Kaum ein Beitrag zur Altenhilfe, bei dem nicht mit Pathos die
wirklich dämliche Rede von der 'Alterslast' zurückgewiesen
und stattdessen auf ein 'Alterskapital' hingewiesen
wird, das es zu nutzen gelte. Im Zusammenhang damit
werden Projekte genannt wie Senioren-Experten-Services, Wissensbörsen,
ehrenamtliche Reparaturdienste und ähnliches.
Fragen wir mal, wie man überhaupt auf einen Begriff wie 'Alterskapital'
oder gar 'Altersschatz' kommt. Die Älteren,
lautet eine Antwort, dürfe man nicht abschreiben, die hätten
im Gegenteil viel an Erfahrung in die Gesellschaft einzubringen.
Das allerdings ist kein Novum: fast immer in der Menschheitsgeschichte
waren ältere Menschen so weit eingespannt, wie es ihre Kräfte
eben ermöglichten. Je nachdem, was ihre Gesundheit zugelassen
hat und welchen Platz sie in der Gesellschaft einnahmen, haben
sie Jüngere dabei übertroffen, oder sie mußten
zurückstecken oder sie übernahmen andere Aufgaben.
Erst die Ausgliederung älterer Menschen aus dem Erwerbsleben,
erst der Umstand, daß die Wirtschaft keine Verwendung für
die älteren Menschen mehr hat und deren Ausgliederung von
der Politik geduldet oder gefördert wird, gibt den Hintergrund
für die Entdeckung des 'Alterskapitals'.
Der Gedanke, daß die Alten doch zu etwas nützlich sein
könnten - nämlich in unbezahlter, ehrenamtlicher Tätigkeit
- setzt gerade voraus, daß die Adressaten des 'Macht - euch
- nützlich' Apells zu den angebotenen Tätigkeiten (z.B.
pädagogisch angeleitete Lebenserfahrungsvermittlungsstellen)
keine Alternative haben.
Der 'Altersschatz' ist nur die euphemistische Umschreibung dieser
Situation.
...Stichwort Bildung und Kultur
Die neuen Bildungs- und Kreativangebote von der Seniorenuniversität
bis zum Seniorentheater sind eine erfreuliche Ergänzung
des Seniorenfreizeitmarktes.
Bedacht werden sollte aber, daß damit nur eine recht kleine
Gruppe unter den Älteren erreicht wird.
Zu kritisieren ist, wenn die studierenden und Theater spielenden
Alten ihren Altersgenossen als Vorbilder präsentiert werden,
sie als Avantgarde erscheinen,
der über kurz oder lang auch die anderen Alten folgen sollten
- mit der naheliegenden Suggestion, daß die vorhandenen
Mittel in solch zukunftsweisenden Projekten besonders gut investiert
seien.
Die neuen anspruchsvollen soziokulturellen Angebote in der Altenhilfe
sind nun mal am positiven Altersbild orientiert, und das heißt
vor allem: an bildungsbürgerlichen Lebensmustern.
Sie sind damit im wesentlichen schicht-, auf jeden
Fall aber gruppenbezogen.
...Stichwort intergenerationeller Austausch
Für die Förderung intergenerationellen Austausches anstatt
von 'Altenghettos' (wie Altenbegegnungsstätten) interessieren
sich Sozialwissenschaftler und Politiker häufig aus anderen
als den bekannten Motiven. Nicht die anrührende Suggestion
der 'Alt und Jung zusammen' Plakate, sondern handfeste sozialtechnologische
Gründe - die Sorge vor dem Entstehen einer Altensubkultur,
einer Altenmacht - spielen hier eine Rolle.
Begleitet wird die Programmatik zumeist von einer karikaturistischen
Repräsentation des negativen Altersbildes in der Gesellschaft.
Denn: wenn das vorherrschende Altersbild die Älteren tatsächlich
als hilfebedürftige, halsstarrige und lernunfähige Wesen
sieht, dann bedürfte es in der Tat nur der Begegnung zwischen
den Generationen, um hier korrigierend einzuwirken. Verständigung
zwischen den Generationen herbeizuführen wären also
ein leichtes.
So ist es aber ja nicht. Es gibt vielfältige Differenzen
zwischen den Alterskohorten, die ein Sich-Verstehen nicht leicht
machen. Im intergenerationellen Austausch drohen die Älteren
dabei als den berufstätigen, gesunderen und selbstbewußteren
Kohorten im Status unterlegene Gruppe schnell untergebuttert zu
werden. Mein Verdacht ist, daß 'Integration der älteren
Menschen in die Gesellschaft' leider häufig so gemeint ist:
die Anpassung der Älteren an die Werte und Lebenshaltung
der Jüngeren, der 'Repräsentanten des Neuen'.
Ein fairer Dialog zwischen Jung und Alt wird aber
nur dort zustande kommen, wo auch Ältere zunächst einmal
die Möglichkeit haben, ganz ohne intergenerationelle Drangsalierung
eigene Standpunkte zu entwickeln und damit Selbstbewußtsein
zu gewinnen.
Angemerkt sei noch, daß der intergenerationelle Austausch
das Anliegen einer Bildungsschicht zu sein scheint,
in der die Distanz zur eigenen Altersgruppe häufig besonders
ausgeprägt ist. 'Man fühlt sich noch jung' und sagt
von sich, man habe viel mehr und viel lieber mit Jüngeren
zu tun. Benachteiligten Älteren steht dieses Profil kaum
zur Verfügung, schon weil sie nicht die erfolgreichen Vorzeigeälteren
mit Vorbildcharakter für die Jugend sind.
Fazit
Die Frage, was einzelne Angebotsformen für die Vernetzung
älterer Menschen leisten, kommt in der aktuellen Debatte
um Innovationen in der Altenhilfe nicht vor. Sie wird verdrängt
vom schönen Altersbild und bildungsbürgerlichen Zielvorgaben.
Nur vordergründig handelt es sich dabei um rein normative
Orientierungen.
Das neue Altersbild ist das Bild vom gesunden, integrierten,
selbstbewußten Älteren, des mit Bildung und Geld ausgestatteten
älteren Menschen. Die neuen Angebote nach Maßgabe
dieses Altersbildes sind Angebote für eine privilegierte,
jedenfalls kleine Gruppe unter den Älteren.
Die Seniorenstudenten und -experten, die Theaterspieler und Seniorenredakteure,
die Kulturkonsumenten und Selbsthilfeaktivisten sind keine
Avantgarde. Ihre Aktivitäten kommen für viele
andere Ältere auch bei noch so gutem Zureden a priori nicht
in Frage.
Werden die Forderungen nach der skizzierten 'neuen Altenarbeit'
der traditionellen Altenhilfe entgegengestellt, dann sollte auch
gesagt werden, um was es dabei geht: um den Vorschlag, sozialpolitische
Mittel einer benachteiligten Schicht, zumindest einer bestimmten
Adressatengruppe, zu nehmen, und anderen, vermutlich einer privilegierten
Schicht mit anderen Bedarfen, zu geben.
Ein letzter Gedanke: Häme und Spott über Angebote der
Altenhilfe auszuschütten ist weder bei der traditionellen
Altenarbeit noch bei den neuen Angebotsformen schwierig, weil
beide versuchen, Benachteiligungen ihrer Adressaten aufzufangen
und dabei manchmal recht hilflos wirken.
Ein solches Gegeneinander der Strömungen
müßte nicht sein. Bei begrenzten finanziellen Mitteln
gibt es reale Konflikte in diesem Bereich. Sie sollten fair, ohne
avantgardistischen Anspruch, sondern in wechselseitigem Respekt
für die Bedarfe der anderen ausgetragen werden.
Christian Carls
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