Kritische Gerontologie im Internet |
Kritik an der Debatte um Altersbilder
Zum 'Altersbild in der Gesellschaft'
Zum 'Altersbild in der Gesellschaft' Befunde Die Befunde der Forschung zum 'Altersbild' in den Gesellschaften Europas und den USA sind keineswegs so konsistent negativ, wie dies von Protagonisten des 'neuen Altersbildes' behauptet wird. Die 'Psychologie des Alterns' von Ursula Lehr (1. Aufl. von 1972) muß als die zentrale, jedenfalls einflußreichste, Monographie zur Durchsetzung des 'neuen Altersbildes' in der BRD angesehen werden (s.u.). Dort heißt es von der 1. bis zur aktuellsten (überarbeiteten, 7.) Auflage: "Das Bild des älteren Menschen in unserer Gesellschaft ist auch heute noch durch Feststellungen von Isolation und Vereinsamung, von Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit charakterisiert. Darüber hinaus wird ein Abbau der geistigen Fähigkeiten als geradezu selbstverständlich angenommen. Seit den 50er Jahren gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die dem Bild des älteren Menschen in der Gesellschaft nachgehen (AARONSON 1966, ARNHOFF et al 1964, BEKKER & TAYLOR 1966, BERGLER 1966, 1968, BURGESS et al. 1958, DRAKE 1956/57, GOLDE & KOGAN 1959, KOGAN 1961, KOGAN & SHELTON 1962, KUCHER 1961, LANE 1964, MOL 1968, TUCKMAN & LORGE 1952, 1953, TUCKMANN & LAVELL 1957) und deren Ergebnisse wie folgt zusammenzufassen wären: 1. Dieses Bild ist grundsätzlich negativ gezeichnet, und zwar weit negativer, als es sich für die Gesamtheit der älteren Menschen vertreten läßt ... Stereotypien, unzulässige Verallgemeinerungen herrschen vor. 2. Bei jüngeren Personengruppen ist das Bild des alten Menschen am negativsten akzentuiert; hier zeigt sich die stärkste Diskrepanz zum Realverhalten Älterer. (...)" (Lehr, 1972, 248; auch: Lehr, 1991a, 284) Diese Diagnose erzielt nachhaltige Wirkung. In der Folge erlebt die Klage über das 'negative Altersbild' einen Boom in der deutschsprachigen Literatur zur Gerontologie und Altenarbeit. Dabei wird Ursula Lehrs Zusammenfassung dankbar zitiert, paraphrasiert, nachgeahmt oder weiter dramatisiert: "Die Einstellungen (zu 'alten' Menschen, C.C.) sind in den letzten beiden Jahrzehnten mehrmals ... untersucht worden ... U.Lehr (1972, 248ff.) faßt die Ergebnisse dieser Untersuchungen zusammen: Danach wird mit 'Alter' eine zunehmende Beschränkung des Lebensraumes sowie ein physischer Abbau und ein Verlust seelisch-geistiger Fähigkeiten assoziiert. Alte Menschen gelten als gebrechlich, anfällig, vergeßlich, passiv, intolerant, konservativ, verbittert und isoliert." (Hohmeier, 1978, 14) Manchen Streitern des 'neuen Altersbildes' ist auch das noch nicht bunt genug: die Liste Hohmeiers wird z.B. bei Bosch um weitere Negativattribute ergänzt (1986, 14). Die Geschichte vom 'negativen Altersbild in der Gesellschaft' bietet sich für Gerontologen, Geragogen, Pädagogen und Psychologen als Kontrastfolie zu einer 'professionellen', 'wissenschaftlich begründeten' Sicht des Alterns in verführerischer Weise an. Dies mag mit dazu beigetragen haben, daß sie weithin ungeprüft übernommen wurde. Tatsächlich nämlich wird die 'Zusammenfassung' in der 'Psychologie des Alterns' schon durch die dort benannten 'Untersuchungen' nicht gedeckt, z.B. nicht von: Bergler, 1966: Bei diesem Titel handelt es sich um eine allgemeine Monographie zur 'Psychologie stereotyper Systeme'. Zum 'Bild des älteren Menschen' äußert sich Bergler nur am Rande. Eine eigene Untersuchung zum 'Altersbild in der Gesellschaft' findet sich nicht, wohl aber Verweise auf gerontologische Literatur, u.a. auf Publikationen von Ursula Lehr (63). Als Bilanz einer Literaturübersicht macht Bergler wiederholt auf die Vielzahl 'hetero- und autostereotyper Einstellungssysteme' (69) aufmerksam, die der Vorstellung von d e m Altersbild in der Gesellschaft widersprechen (z.B. 69f., 75f., 80). Bergler, 1968: In diesem Zeitschriftenaufsatz stellt Bergler Befunde aus einer Befragung zum Selbstbild im 'Alter' vor. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das "Selbstbild im Alter" (165) (Bergler befragte 50-69jährige) überwiegend positiv getönt sei ('Gesamtbefund': 165ff.; >S.85). Burgess u.a., 1958: In diesem Aufsatz geht es um Erwartungen 'älterer' Beschäftigter der 'Standard Oil Company of Indiana' bezüglich ihres eigenen Älterwerdens (insbesondere bezüglich des Ruhestandes). Bei fast allen ca. 50 Fragen wählte die Mehrheit der Befragten die optimistische Antwortmöglichkeit (bes.: Tab. 205; >S.85). Golde / Kogan, 1959: Die Verfasser forderten Studenten auf, u.a. Sätze über 'die meisten Menschen' und im Vergleich über 'alte Menschen' zu erweitern, z.B.: "Most people's lives are..." / "Most old people's lives are...". Bei dieser Frage ergaben sich z.B. keine Wertungsunterschiede bezüglich den 'meisten' bzw. den 'alten' Menschen: "Ss (subjects, C.C.) describe 'old people's' lives no more positively or negatively than the lives of 'most people'." Tatsächlich ergab sich bei den weitaus meisten der 25 Fragen eine vergleichsweise günstige Einschätzung des 'Alters' oder 'alter Menschen' (356-359). Kogan / Shelton, 1962: Die Verfasser verweisen zunächst auf Befunde anderer Studien, denenzufolge eher 'ältere Menschen' (negative) Stereotype über 'alte Menschen' haben als jüngere Menschen. Ähnlich wie in der Studie von Golde/Kogan wurden die Respondenten aufgefordert, Sätze über 'old people' bzw. 'people in general' zu erweitern. Die Ergebnisse sind sehr heterogen, keineswegs aber durchgehend negativer in Bezug auf die Bewertung der 'alten Menschen'. So wurden die Freundschaften 'älterer' Menschen deutlich positiver bewertet als die jüngerer. Interessant auch der Befund zu folgender Aussage: "In general, old people need assistance (e.g. help, care)", die sich lediglich bei 2,2% der Befragten fand. Die Aussage "In general, people need assistance..." machten immerhin 4,6% der Respondenten (Kogan/Shelton, 1962, 5). "The thing I like best of old people" war z.B. bei 11,2% 'courage, determination' und bei 30,3% 'intelligence, wisdom'. Die Zahlen für 'people in general': 0% und 17,2% (8). Zu "most old people I have known" gab es von 74,4% der Befragten positive Beschreibungen, zu "most people I have known" war das nur bei 71,3% der Fall (7). Kucher, 1961: Hier finden sich ausschließlich Befunde zum 'Bild des älteren Menschen in der Gesellschaft' der 'Naturvölker'. Dort scheint das Bild nicht 'grundsätzlich negativ gezeichnet zu sein. In Polynesien und Mikronesien soll es z.B. eine 'Gerontokratie' geben. In Bergdama haben die Ältesten "Ehrenplätze am heiligen Feuer" (was ihnen Anrecht auf die beste Jagdbeute gibt) (47f.). Die Jakuten empfinden es allerdings als "Schande", 'alte' Menschen eines "natürlichen Todes sterben zu lassen" (50). Lane, 1964: Die Verfasserin berichtet über eine Erfragung von Einstellungen zum 'Alter' und 'älteren' Menschen. Befragt wurden 400 Studenten: "An analysis of the responses of the students indicated that their attitudes were generally favourable... On the other hand, none of the subjects had attitude scores in the very unfavorable category." (230) (...)(Probleme) ... mit den Begrifflichkeiten 'Alter', 'alte' oder 'ältere Menschen' Während Gerontologen gerne ihren differenzierten Altersbegriff hochhalten ('chronologisches', 'biologisches', 'psychologisches', 'funktionelles' etc. 'Alter') wird den Respondenten bei der Erforschung ihres 'Altersbildes' ein rein kalendarischer Altersbegriff stillschweigend unterstellt oder ausdrücklich aufgezwungen. Verdrängt wird dabei, daß in der Gerontologie der 'differenzierte Altersbegriff' meist nur für die Aufzählung einer willkürlichen Reihe von Adjektiven währt: "Trotzdem verstehen wir in dieser Arbeit unter Betagten Menschen ab 62, ohne Rücksicht auf ihr biologisches oder soziologisches Alter." (Buhofer/Waller, 1977, 4) "The idea of chronological aging (measuring one's age by the number of years one has lived) is a kind of myth. It is clear that there are great differences in the rates of physiological, chronological, psychological and social aging within the person and from person to person. (...) For the purposes of this book old age may be considered to commence at the conventionally accepted point of 65." (Butler, 1975, 7) Diese Art pragmatischer Definition ist für eine wissenschaftliche Literatur naheliegend, die sich durch 'klare' Begrifflichkeit und 'exakte' Befunde auszeichnen will: "Um soziologisch an Fragen und Problemen des Alters arbeiten zu können, muß man das kalendarische Alter zu Hilfe nehmen. Der kalendarische Altersbegriff wird vom Statistiker benutzt und zieht die Grenze zwischen 'alt' und 'nicht alt' recht willkürlich beim Erreichen des 65. Lebensjahres: Wer 65 Jahre alt und älter ist, zählt danach zu den alten Menschen, wer jünger ist, nicht. Nur mit einer solchen starren Grenzziehung kann man statistisch arbeiten." (Witterstätter, 1983, 37) Die Zurückweisung angeblich falscher Einstellungen und Stereotypen in der Gesellschaft anhand 'wissenschaftlicher Erkenntnisse' funktioniert denn auch fast immer nach diesem Schema: Im 'negativen Altersbild' haben 'alte' Menschen die Eigenschaft e - tatsächlich haben aber nur x % der über 60jährigen (oder über 65jährigen) die Eigenschaft e: "Immer noch ist in unserer Bevölkerung ein Altersbild verbreitet, das vom leistungsgeminderten, durch geistigen und körperlichen Abbau gekennzeichneten, hilfsbedürftigen, armen, einsamen Menschen ausgeht. Dieses Altersbild trifft heute für höchstens 5-10% unserer älteren Bevölkerung zu - und zwar äußerst selten für die 60/65jährigen, sondern höchstens für die über 80- oder gar über 90jährigen." (Lehr, 1988d, 11) Der primitiv-pragmatische Altersbegriff der gerontologischen Literatur wird dabei 'der Gesellschaft' zunächst übergestülpt, um im Nachzug die Stereotypisierung von Menschen allein aufgrund ihres zählbaren Alters zu beklagen: "Als einziger Störfaktor, der allein vom Lebensalter abzuhängen scheint, erweist sich das 'Image' des älteren Menschen in unserer Gesellschaft!" (Lehr/Schmitz-Scherzer, 1970, 193) "Praktisch bedeutet das, daß die Zuordnung einer Person zu der universalistisch definierten Klasse 'alte Menschen' nach dem klassifikatorischen Merkmal 'Alter' erfolgt..." (Gores, 1971, 14) "Gerontologists have coined the term ageism to refer to the pejorative image of someone who is old simply because of his or her age." (Hendricks/Hendricks, 1981, 15) Nicht-Soziologen, Nicht-Gerontologen und Nicht-Statistiker, "die Leute" ((Lehr, 1991a, 286), >S.55), können sich tatsächlich aber einen viel vageren, subtileren, wechselhafteren und durchgängig differenzierten Altersbegriff leisten. Gewonnen wäre schon viel, wenn 'Altersbild'-Forscher bei ihren Einstellungsmessungen auch mal fragen würden, wer denn für die Befragten 'alt' ist. Das nämlich ist für viele 'Altersbild'-Autoren eine ausgemachte Sache: "Die Allgemeinheit neigt dazu, Menschen vom 60., 65. Lebensjahr an den 'Alten' zuzurechnen." (Lübben, 1972, 56) "One common mistake is the idea that people are old at the age of 65." (Albrecht, 1974, 27) In einer 1991 veröffentlichten Studie zum Selbstbild 'älterer' Menschen wurde diese Frage gestellt. Der "Beginn des 'Alt-Seins" wurde von den Befragten im Durchschnitt mit 71,6 Jahren verortet (F.Oswald, 1991, 282). In einigen Studien zum Selbstbild 'älterer' Menschen wurde immerhin gefragt, ob die Befragten sich denn auch selbst als 'alt' bezeichnen würden. Viele Resultate zeigen, daß die meisten über 70- oder über 80jährigen sich auf Befragen nicht als 'alte Menschen' einstufen (>S.91). Dies wäre kaum möglich, wenn im allgemeinen Sprachgebrauch klar wäre, daß jeder über 65 ein 'alter Mensch' ist. Und selbst wenn in Befragungen den Respondenten der Begriff 'alte Menschen' dahingehend erläutert wird, daß damit 'über 65jährige' gemeint seien, ist dies kaum eine Garantie, daß den Respondenten dies bei der Beantwortung der Fragen bewußt bleibt. Das ist selbst dann sogar eher zu bezweifeln, weil die 'über 65jährigen' eine sehr abstrakte Gruppe bilden, die von gewohnten Gruppierungen in der Alltagswahrnehmung der Befragten stark abweicht und damit schwer vorstellbar sein dürfte. So wird es weiter vorkommen, daß sich die Antwortenden trotz solcher Eingangserläuterungen auf die vielleicht 80jährige Nachbarin oder 'deutlich alte' Menschen in der Straßenbahn beziehen. Mithin: Wenn sich Befragte über '65jährige und ältere' äußern, kann dies von gleicher Qualität sein wie bereitwillige Äußerungen zu erfundenen Politikern und imaginären Werbespots (>S.33). Man sollte aber nicht in den Irrtum verfallen anzunehmen, daß sich das Bild von 'den Alten' dann eben z.B. auf alle über 71,6jährigen bezieht. Bedacht werden muß, daß bei dem o.g. Befund von Oswald den Respondenten eine an Lebensjahren orientierte Altersdefinition aufgezwungen und nur noch die Wahl der Zahl gelassen wurde (der Verfasser selbst relativiert die Aussagekraft dieser Zahl (282)). So macht es Oswalds Respondenten, nachdem sie den Beginn des 'Alt-Seins' auf Aufforderung beziffert haben, auch nichts aus, diese Zahl bei einer späteren Selbsteinordnung nicht weiter zu verwenden: Keiner der Befragten (Durchschnittsalter: 76) wollte sich auf entsprechende Frage zu den 'Alten' zählen (ebd.). Wie situativ, sprunghaft und unkontrollierbar 'Altersdefinitionen' tatsächlich sind, illustriert auch eine Studie von 1962, in der Menschen zwischen 60 und 94 Jahren gefragt wurden, ob sie sich als "young, middle-aged, elderly, old, or aged" bezeichnen würden. Eine Stunde später sollten die Befragten den Begriffen allgemein Altersspannen zuordnen und wurden im Anschluß um eine nochmalige Selbsteinordnung gebeten. Das Ergebnis: Nur bei 26% der Respondenten war die anfängliche Selbsteinordnung mit den den Gruppen zugewiesenen Altersspannen hinsichtlich ihres tatsächlichen Alters (an Jahren) stimmig; 59% änderten ihre Selbsteinordnung beim zweiten Durchgang (Jeffers/Eisdorfer/ Busse, 1962). Die Verfasser interpretieren sicherlich nicht zu gewagt, wenn sie feststellen, was außerhalb des Wissenschaftsbetriebs niemanden überraschen dürfte: "Finally, this study seems to have demonstrated a lack of consistency in the use of common words such as young, middle-aged, elderly, old, and aged. Individual and perhaps regional differences in usage seem to make it important to examine subjects' definitions of terms in specific contexts." (Ebd., 439) Empirische Forschung, die harte Daten zum 'Altersbild' vorlegen will, muß sich über die situative Einbettung von Begriffsdefinitionen im Alltag notgedrungen hinwegsetzen, weil deren Anerkennung fatale Konsequenzen für die Praxis quantitativer 'Altersbild'-Forschung hätte: "Since the terms ... are shown to have idiosyncratic meanings, their use as a scaling device is not yet justified except as validated for e a c h s u b j e c t in a given population." (Ebd.) Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Altersdefinitionen, auf die Menschen je nach Kontext zurückgreifen können. Eine bekannte Begrifflichkeit wird z.B. im Satz 'man ist so alt, wie man sich fühlt' zum Ausdruck gebracht: Altsein wird hier als eine Funktion der subjektiven Befindlichkeit begriffen. (...)Analog lassen sich auch die 'negativen Einstellungen' zum 'Altern' auflösen. Bei Heinz Georg Rupp heißt es z.B.: "Nach Sandritter beinhaltet er (der Begriff des Alterns, C.C.) 'die sichtbare oder sonst wahrnehmbare Einbuße an Lebendigkeit, die Minderung der physischen und psychischen Leistungen'. Durch die Worte 'Einbuße' und 'Minderung' wird bereits die negative Einstellung dem Vorgang des Alterns gegenüber deutlich." (1984, 14) Wenn 'Altern' aber in ausgesuchten Kontexten der 'Umgangssprache' gerade die Minderung der Leistungsfähigkeit bezeichnet, kann es an sich nicht überraschen, daß 'Altern' dann tatsächlich mit 'Einbuße' und 'Minderung' verbunden wird. Nur durch den Wechsel von einem 'gesundheitsorientierten' (im 1. Satz) zum 'kalendarischen' Altersbegriff (im 2. Satz) kann die beabsichtigte Suggestion eines (am Lebensalter orientierten) negativen Altersbildes bewahrt werden. Die weitere Vielfalt von Altersdefinitionen mag sich jeder selbst illustrieren lassen. Man braucht dazu nur 'jüngere' und 'ältere' Menschen zu fragen, ab wann man nach ihrem Verständnis 'alt' sei. Hier kann der Hinweis reichen, daß eine Aufzählung nur unterschiedlicher Jahresgrenzen dabei nicht herauskommen wird. Wenn aber in einer Befragung für die Respondenten z.B. als 'alt' gilt, wer bestimmte Dinge nicht mehr 'kann', verdreht sich der Sinn des dabei zwangsläufig 'gefundenen' 'negativen Altersbildes'. Dann gelten die 'Alten' z.B. als gebrechlich, weil nur wer Gebrechen hat, zu den 'Alten' gezählt wird. Sie gelten z.B. als einsam, weil nur, wer nicht mehr 'rauskommt', als 'alt' gilt - usw. 'They (old people) have lost most of their teeth' - dieses Statement fand in einer Befragung 79% Zustimmung (Tuckman/Lorge, 1953, Table 3). Also: Solange man noch die meisten Zähne hat, ist man nicht 'alt'... Eine ähnliche Begrifflichkeit läßt sich übrigens auch bei den Verfechtern des 'positiven Altersbildes' finden. Wenn in gerontologischer Literatur von 'alten' oder 'älteren' Menschen die Rede ist, sind fast immer die 'über 60-' oder die 'über 65jährigen' gemeint: Die aber seien keineswegs so schlecht dran, wie 'allgemein' angenommen. Den Altersbegrifflichkeiten von Laien nähern sich Gerontologen in definitorischen Ausflügen an, wenn sie der angeblichen Laienvorstellung vom kalendarisch determinierten stetigen Abbau entgegentreten und dazu 'Alter' mit immer neuen Adjektiven verknüpfen: 'biologisch', 'physiologisch', 'psychologisch', 'funktional', 'ökologisch' usw. Faktisch durchgängig gelten dabei die als 'alt', die in eben diesen Bereichen Beeinträchtigungen erkennen lassen. Die nach diesen Maßstäben 'Alten' sind mindestens so schlecht dran, wie die im 'negativen Altersbild der Gesellschaft' - leistungsgemindert, unmotiviert und mit faltiger Haut: Als psychologisch 'sehr alt' gilt etwa, wer relativ (zu früheren Ergebnissen) schlecht in Intelligenz- und Motivationstests abschneidet. Nach Rosenmayr muß "für die Frage z.B., ob jemand für eine Aufgabe 'geeignet' sei" nicht nur das 'kalendarische', sondern "das psychologische Alter mit berücksichtigt werden" (Rosenmayr, 1978, 35). Daneben gibt es "das funktionale Alter: dieses ergibt sich aus der vom chronologischen Alter unabhängigen Leistungsfähigkeit und Kapazität eines Menschen (Umgangssprachlich oft ausgedrückt wie: .. 'Der ist jetzt schon ein Mentalgreis')." (Klingenberger, 1992, 41; siehe z.B. auch Thomae, 1983, 147) Biologisches Altern dagegen "zeigt sich meist in der Leistungsminderung von Körperfunktionen. Die Haut wird weniger elastisch, ..." (Loddenkemper/Schier, 1981, 12) Anders allerdings als in der 'Umgangssprache', wo Menschen auch 'aufblühen' und 'wieder richtig jung' werden können, wird erstaunlicherweise mit diesen Begriffskreationen, die ja gerade dem 'vorherrschenden Altersbild' und seiner vermeintlich undifferenzierten Perspektive entgegengehalten werden, tatsächlich ein unumkehrbarer Abbau in den bezeichneten Bereichen suggeriert. Mit der Vielfältigkeit von Altersbegriffen im Alltag zerbröselt die Idee von der Stereotypisierung der 'Alten'. Die Idee basiert auf der systematischen Verwechslung der komplexen Laienbegrifflichkeit vom 'Alt-sein' mit dem quantitativen Altersbegriff in der Gerontologie ('über 60' oder 'über 65'). Eine Gruppe ist naheliegenderweise nur dann stereotypisierbar, wenn sich die Mitglieder dieser Gruppe an einfachen Merkmalen erkennen lassen und diese Merkmale mit den zugeschriebenen Eigenschaften nicht identisch sind. - 'Alt ist man, wenn man in's Altenheim muß'; danach wären 'alte Leute' also Menschen, die zu eigenständigem Leben nicht mehr in der Lage sind. Solche Aussagen könnten auf eine situativ beschränkte Begrifflichkeit hindeuten - mit 'Stereotypisierung' der 'gerontologisch Alten' (also der über 60- oder über 65jährigen) hat das nichts zu tun. (...)(Probleme) ... mit dem Begriff des 'Stereotyps' Neben dem Konzept der Einstellung (immer - zumindest latent - vorhanden, stabil, verhaltensrelevant und abfragbar) findet man bei der Rede vom 'Altersbild' typischerweise ein weiteres sozialpsychologisches Konstrukt: den Begriff des 'Stereotyps'. Ob Aussagen über 'alte Menschen' als 'Einstellungen' oder als 'Stereotypen' oder als beides eingeordnet werden, erscheint unsystematisch und inkonsistent. Während in theoretischen Definitionen noch wichtige Unterschiede erkennbar scheinen, wird bei den 'Messungen' z.T. wieder alles in einen Topf geworfen ("The purpose of this study was to investigate the attitudes of a young adult group of graduate students toward old age as measured by their responses to a questionaire consisting of misconceptions and stereotypes." (Tuckman/Lorge, 1953, 249) Dennoch erscheint eine kurze Auseinandersetzung auch mit dem Stereotypbegriff lohnenswert. Zum einen, weil der Begriff des 'Altersstereotyps' häufig synonym zu dem des 'Altersbildes' oder quasi-synonym als besonders festgefügtes, unveränderliches 'Altersbild' benutzt wird (z.B. bei Müller, 1988, 80). Analog ist das Verhältnis der Begriffe 'Fremd-' und 'Selbstbild' zu 'Hetero-' und 'Autostereotyp' (z.B. bei Pöhlmann, 1975, 6). Zum anderen, weil die Verwendung des Stereotypbegriffs gleichzeitig für die radikalste Wertung von Befunden der Altersbildforschung steht. Das Konzept beinhaltet nämlich die Vorstellung, daß Eigenschaften im Grundsatz allen Mitgliedern einer stereotypisierten Gruppe zugeschrieben werden, ("Das Stereotyp übersieht alle individuellen und sozialen Unterschiede." (Hohmeier, 1978, 16)) und - umgekehrt - jedes einzelne Mitglied hinsichtlich dieser Eigenschaften stereotyp wahrgenommen wird: "Bei der Äußerung solcher Fremdbilder geht der Beurteiler gewöhnlich von der Vorstellung aus, seine Urteile gälten für alle Mitglieder der Gruppe (hier: der alten Menschen) gleichermaßen." (Kaiser, 1983, 109) "Stereotype sind also übereinstimmende Klassifizierungen der Träger eines bestimmten Merkmals, wobei individuelle Unterschiede nicht berücksichtigt werden." (Schneider, 1974, 70) (ähnlich z.B. auch Müller, 1988, 74f.; Fröhlich, 1987, 322) Damit stellen sich nochmals verschärft die Fragen, - nach welchen Maßstäben Menschen in der Alltagswahrnehmung gruppiert werden, - wie stabil und homogen diese Parameter sind, - und ob und wie sie im unmittelbaren Umgang mit 'konkreten' Angehörigen dieser Gruppen Anwendung finden. Bei der standardisierten Erforschung von Stereotypen beantworten sich diese Fragen in der Regel ganz unkompliziert. Die Antworten darauf werden den Respondenten einfach vorgegeben: "Wichtigstes Instrument der Stereotypforschung sind die Einstellungsskalen. Hierbei werden den Befragten Aussagen (Meinungen) über das Objekt oder den Sachverhalt vorgelegt, auf die der Befragte in Abstufungen Zustimmung oder Ablehnung äußert." (Müller, 1988, 79) Wenn das 'Instrument der Stereotypforschung' zur Anwendung kommt, sind also die wesentlichen 'Ergebnisse' schon abgemacht. So erhalten die 'Befragten' im 'Old People Questionaire' von Jacob Tuckman und Irving Lorge z.B. folgende Anweisung zur 'Beantwortung' von 137 vorgegebenen Statements: "Below are statements about old people. If you are in general agreement with these statements, put a circle around the Yes. If you are in general disagreement with the statement, put a circle around the No." (Tuckman/Lorge, 1953, 251) Eine Möglichkeit zur 'Enthaltung' ist nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Potentielle Antwortverweigerer werden nochmal direktiv aufgefordert, keine Frage unbeantwortet zu lassen: "Answer all questions, if you are not sure, guess." (Ebd.) So werden die 'Befragten' faktisch genötigt, in der einen oder anderen Richtung auf jeden Fall stereotype Aussagen über 'alte' Menschen zu treffen. Die forsche Anweisung, Aussagen wie "Old people like to play checkers or dominoes", "They suffer from constipation", "They cannot taste differences in food" oder "They die of cancer or heart disease" (Table 3) entweder zu Bejahen oder zu Verneinen, eignete sich dabei vermutlich eher noch zu einem modifizierten 'Milgram-Experiment' als zum Aufspüren tief verwurzelter Stereotypen. Solche Dreistigkeit bleibt forschungspraktisch unproblematisch, da die Respondenten die ihnen zugewiesene Statistenrolle in diesem Prozeß anscheinend mehrheitlich widerstandslos hinnehmen. Dies auch, weil sie i.d.R. nicht wissen können, welche Begrifflichkeiten ihnen von den Forschern unterstellt werden (z.B.: 'alte Menschen' = 'die über 60jährigen') oder es ihnen nichts ausmacht (bzw. sie genötigt werden), sich über eine 'Gruppe' zu äußern, die sie ohne spezielle Aufforderung in ihrem Alltag kaum als solche begreifen würden. Nachdem Respondenten so praktisch genötigt wurden, sich über 'die Alten' oder über 'die über 65jährigen' zu äußern, wird ihnen von den Forschern oder anderen Interpreten solcher Studien eine stereotype Wahrnehmung von Menschen allein aufgrund deren Lebensalters vorgehalten... (...)
Offensichtlich ist, daß es sich bei der Entdeckung der 'Lernfähigkeit' um eine Ideologie handelt, die die Erschließung neuer Klientel für Gerontologen, Geragogen und Pädagogen zur folgerichtigen Konsequenz wissenschaftlichen Fortschritts umdeutet. Daß Menschen in der Lage sind, auch im 'Alter' die eine oder andere Information aufzunehmen, ist auch schon vor Erfindung des 'positiven Altersbildes' bekannt gewesen. Klar ist: Es geht nicht um Lernfähigkeit per se, sondern um die Fähigkeit und Bereitschaft zur Teilnahme an den spezifischen Angeboten, die den Verkündern der Lernfähigkeit 'Älterer' vorschweben: "Grundlage einer Bildungsarbeit mit Älteren ist die Erkenntnis, daß eine Lernfähigkeit bis ins hohe Alter vorhanden ist." (Dallinger, 1990, 107) Und es geht natürlich um die Botschaft von der weithin ungebrochenen Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer, meist verknüpft mit der Suggestion, daß die Frühausgliederung älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben vor allem ein psychologisches Problem - nämlich eine Folge falscher Stereotypen ('Defizitmodell') - bei den Betriebsleitungen (evtl. im circulus vitiosus mit tatsächlich nachlassenden Leistungen infolge einer self-fulfilling prophecy (z.B.: Pohl, 1976, 125f.; Staudacher, 1986, 15f.)) sei ("Von einer Funktionslosigkeit und damit Wertlosigkeit des älteren Menschen im Beruf scheinen heute viele Personalräte in Wirtschaft und Verwaltung überzeugt, wenn sie schon 58jährigen ein frühes Berufsende nahelegen." (Lehr, 1988a, 142) und also durch gerontologische Aufklärung über die 'wahre' Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer vermieden werden könnte (z.B.: Pohl, 1976, bes. 119ff.). Die Beschwörung der Lernfähigkeit zielt dabei nicht einfach auf die Rekrutierung 'der Alten' für pädagogische Altenarbeit, sondern vorrangig auf die Rekrutierung neuer (privilegierter) Schichten. Die Entdeckung von der Bildungsfähigkeit der 'Alten' ist die Umorientierung von Altenarbeit auf 'bildungsfähige Alte'. (>S.121) Faktisch sind dies bildungsgewohnte, ökonomisch bessergestellte über 60jährige, die es schon immer gegeben hat (dies zwar in geringerer, aber zur Auffüllung eines Kurses auch vor ihrer Entdeckung sicherlich ausreichender Zahl). Da ist es nur konsequent, der klassischen Klientel von Altenarbeit Bildungsunfähigkeit zu attestieren. So berichtet Erich Schützendorf über Erfahrungen, Lernangebote in Altentagesstätten und Altenklubs anzubieten. Er stellt fest: "Unbestritten ist, daß alte Menschen lernfähig sind in dem Sinne, daß sie Verhalten aufgrund von Erfahrungen ändern können. Wenn sich die Haltestelle der Straßenbahnlinie ändert, lernt der alte Mensch gewiß, zu der neuen Station zu gehen. Bei absichtlichem und organisiertem Lernen geht es aber um mehr." (1984, 4)
Die Nutzer dort gehören der "oberen Unterschicht bis unteren Mittelschicht" an, hatten eine niedere Schulausbildung und sind überwiegend Hausfrauen: "Überspitzt ließe sich feststellen, daß viele Besucher gerade dem Altersstereotyp entsprechen, dessen Widerlegung die Grundlage aller Bemühungen zur Altenbildung ist." (Ebd.)
Schützendorf resümiert, daß Bildungsangebote mit diesen 'Alten' (den Besuchern der Tagesstätten und Klubs) nicht zu machen sind. Insbesondere mangele es an wesentlichen Voraussetzungen wie 'Ansprechbarkeit', 'Lernbereitschaft', 'Lernenergie', 'Lerntechnik und Lernökonomie' etc (4ff.). Angemerkt sei, daß es durchaus auch Bildungsarbeit mit der klassischen Zielgruppe von Altenarbeit ('sozial- und bildungsbenachteiligte ältere Menschen') gibt. Bei dem wohl bekanntesten entsprechenden Projekt fehlt konsequenterweise eine Bezugnahme auf die Entdeckung der Lernfähigkeit 'älterer' Menschen (Knopf, 1987).
Hinsichtlich der 'Bildungsfähigen' ergibt sich das Dilemma,
daß - ausgestattet mit dem 'neuen Altersbild' - einerseits
die Kompetenz der 'Älteren' beschworen, andererseits aber
nach Defiziten gesucht werden muß, die schließlich
durch die Bildungsangebote aufgehoben werden sollen (Nittel, 1990,
80). Dort erscheinen die 'kompetenten Älteren' dann gegebenenfalls
als "'kulturelle Deppen' .., denen - wie schon seit
fast fünfzehn Jahren - ausgerüstet mit den 'wissenschaftlichen
Ergebnissen' der psychologischen Alternsforschung, nahegebracht
werden soll, daß ihr Alltagswissen vom Altern über
weite 'Strecken unangemessen' sei, weil - wie 'wissenschaftlich
nachgewiesen' - Altern 'in Wirklichkeit' gar nicht durch zwangsläufigen
Abbau, Isolation, Einsamkeit etc. charakterisiert sei" (Knopf,
1985, 8f.). (...)
Die Kunde von der 'Potenz' der 'alten' Menschen ist hier mit aufgenommen worden, weil sich an einem neueren Beitrag zur Sexualität 'alter' Menschen gut illustrieren läßt, wie sich die unterschiedlichsten Bereiche gerontologischen Interesses mit der immer gleichen Idee (vom 'negativen Altersbild' und seinen schädlichen Wirkungen) bestreiten lassen. "Der Mythos von der Geschlechtslosigkeit alter Menschen ist widerlegt." (Howe, 1988, 150) Mit dieser kategorischen Feststellung bilanziert Jürgen Howe die von ihm zuvor dargelegten Befunde zur Fähigkeit zu und Frequenz von Geschlechtsverkehren in verschiedenen Lebensaltern. Der Mythos, von dem Howe spricht, muß sehr rigide sein. Zeigen doch seine Statistiken z.B., daß 64% der verheirateten über 65jahre alten Menschen seltener als einmal im Monat oder überhaupt keinen Geschlechtsverkehr haben. Immerhin: "Ein völliger Verzicht auf Geschlechtsverkehr ist auch ... bei den über 75jährigen nicht zu verzeichnen." (148) Tatsächlich zeigen Howes Daten eine Reduktion von Geschlechtsverkehr-Frequenzen, wie sie manchen Träger des 'generalisierten Stereotyps zur Sexualität im Alter' (137) überraschen dürfte. Für Howe ist klar, daß dies vorrangig eine Folge des 'negativen Altersbildes' sein muß. Denn: wie an insgesamt 13 Schaubildern zur Anatomie und Physiologie der 'Geschlechtswerkzeuge' illustriert wird, ändert sich da im 'Alter' wenig, allein "die Erweiterung der inneren zwei Drittel der Vagina ist nicht mehr so stark" und die "Refraktärperiode dauert länger" (143; Illustrationen 141-145). Aber deswegen bräuchten Männer "mit fortschreitendem Alter - genau wie Frauen - ihre sexuellen Aktivitäten nicht aufgeben." (144) Als Ursache nachlassender Geschlechstverkehrsfrequenzen kommt für Howe somit nur noch das 'konturenscharfe Stereotyp' (137), die tradierte 'Sexualmoral' (153), in Frage. Sie zu überdenken, erscheint Howe "gerade angesichts des wachsenden Anteils der älteren Bevölkerungsgruppe sowohl für die heutige als auch für die zukünftige Altengeneration unaufschiebbar geworden zu sein" (153). Das Wissen, daß Penetrationen auch im 'Alter' machbar sind, sollte dafür auf breiter Ebene in die Bevölkerung getragen werden: "Zur Überwindung falscher Vorstellungen über die Sexualität im Alter und deren ungünstiger Auswirkungen erscheint zunächst eine uneingeschränkte Aufklärung auf breiter Ebene notwendig zu sein. Dazu gehört, daß Wissen um die Alterssexualität auch im Sexualkundeunterricht in der Schule weitergegeben wird. Das gilt natürlich auch für die Institutionen der Erwachsenenbildung, die sich mit Kursen zur Altersvorbereitung beschäftigen sowie für Weiterbildungsprogramme aller Berufsgruppen, die mit alten Menschen zu tun haben." (Howe, 1988, 154) Damit befindet Jürgen Howe sich zwar im Trend der 'Altersbild'-Literatur, die sich seit einigen Jahren der 'Problematik Alterssexualität' vermehrt zuwendet und dabei typischerweise zu ähnlichen Schlußfolgerungen kommt, z.B.: Müller, 1988: "Im persönlichen Lebensbereich wirkt sich die negative Tönung des Altersbildes vor allem in der Einschränkung der Verhaltensmöglichkeiten aus. Es gibt einen Verhaltens- und Moralkodex für Alte, der vor allem durch Vorschriften ausgefüllt ist, was 'nicht altersgemäß' ist, 'sich nicht gehört' oder 'würdelos' ist. Hierhin gehört der ganze Bereich von Liebe und Sexualität. Setzt sich ein alter Mensch über diese entmündigende Verhaltenseinengung hinweg, muß er mit gravierenden Sanktionen rechnen." (89) Ebel, 1989: "Liebe und Sexualität werden älteren Menschen scheinbar unwiderbringlich vorenthalten, denn Sexualität wird gesellschaftlich nur den 15-40-jährigen zugebilligt." (52) Originell aber ist, daß Howe nicht nur die schlimmen Auswirkungen des 'negativen Altersbildes' brandmarkt, sondern sich auch Gedanken über die Folgen seiner Beseitigung macht und dabei durchaus auch Gefahren einer sexuellen Befreiung der 'Alten' sieht: Diese nämlich könnten dann soviel Sex haben, daß sie darüber womöglich andere Anliegen vernachlässigen würden: "Gerade für diesen Bevölkerungsteil besteht jedoch auch die Gefahr, daß Sexualität einen zu starken kompensatorischen Charakter erhalten könnte, der über die eigene Bedeutungslosigkeit für die Gesellschaft hinwegtäuschen soll (Schmidt 1986)." (Howe, 1988, 154) Die Erklärung mit dem 'Altersbild' scheint sich dabei so aufzudrängen, (Die Vorstellung, daß ein lange verheirates Ehepaar im Alter von 65 Jahren deswegen vom Geschlechtsverkehr abließe, weil das 'generalisierte Stereotyp' 'alten' Menschen keinen Sex zugesteht, scheint mir eher fernliegend...) daß andere Zusammenhänge nicht weiter erwogen werden. Selbst bei Verbleiben auf der biologistischen Ebene würde sich ein Nachdenken z.B. über eine zunehmende Arteriosklerose der Arteriae profundae penis lohnen. Die ausführliche Präsentation anatomischer Bilder der äußeren Geschlechtsorgane sollte zumindest ergänzt werden durch Abbildungen einzelner Gelenke oder der Skelettmuskulatur, die beim Geschlechtsverkehr ja auch 'beteiligt' sind. Schließlich drängt sich angesichts der imponierenden durchschnittlichen Gv-Frequenzen in den von Howe angeführten Statistiken der Gedanke auf, daß die konventionelle sexuelle Verkehrsform (Penetration) Paaren irgendwann schlicht zu langweilig und als Partnerschaftsbestätigung auch verzichtbar werden könnte. Gedanken, wie man bei einer reduzierten Erektilität des männlichen Gliedes mit Sexualität umgeht, erscheinen - es ist ja nur das 'Altersbild' zu ändern - ebenfalls unnötig. Der Verfasser führt eine Ärztin 'vor', die 1960 die Sorge äußert, daß Spätehen oft nur deshalb nicht zustande kommen, "'weil der angehende Ehemann fürchtet, seine Frau wünsche eheliche Beziehungen, denen er sich nicht mehr gewachsen fühlt' (...)": "Besser lassen sich die entsprechenden Stereotype nicht zusammenfassen." (Ebd.)
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