Kritische Gerontologie im Internet |
Christian Carls: Das neue Altersbild
Abschließende Betrachtung
des 'neuen Altersbildes' Das 'neue Altersbild' verdeckt mit seiner Beschwörung der Bedrohlichkeiten des 'negativen Altersbildes' die wirklichen Probleme, mit denen 'ältere' Menschen in unserer Gesellschaft konfrontiert sind. Sozioökonomische Benachteiligungen verblassen angesichts der scheinbaren Beeinträchtigung durch negative Fremd- und Selbstbilder, von denen 'unsere Alten' aller Schichten gleichermaßen betroffen wären. Erfolgreiches Altern wird - ansonsten scheinbar voraussetzungslos - zur Frage des rechten 'Altersbildes'. Exponenten des 'neuen Altersbildes' - gesunde, aktive, kulturell bewegliche, integrierte und ökonomisch durchgängig gut gestellte Alte - erscheinen als Vorbilder, denen durch Abstreifen falscher Einstellungen und ein wenig persönliche Willenskraft anscheinend jedermann nachfolgen kann. Diese ideologisch verdeckte Parteinahme für Lebensstil und Selbstverständnis kleiner Gruppen aus den privilegierten Schichten harmoniert gut mit der neuen Phase neoliberal-konservativer Ordnungspolitik, die beim Abbau des Sozialstaats auf die 'Eigenverantwortung der Bürger' setzt (s. Bauer/Hansen, 1995). Auf ein aus eigener Kraft zu bestreitendes Schicksalsmanagement scheinen die Alten des 'positiven Altersbildes' beispielhaft vorbereitet zu sein. Das mag von einigen Befürwortern des 'neuen Altersbildes' tatsächlich beabsichtigt oder intuitiv gebilligt werden. Über Lebensstilkolonialismus und konservative Weltanschauung allein aber läßt sich dessen Erfolgsgeschichte sicher nicht erklären. Daß das 'neue Altersbild' trotz seiner unübersehbaren Unzulänglichkeiten und vermutlich sogar trotz seines ideologischen Implikats eine solche Bedeutung erlangen konnte, dürfte vor allem mit den Identitätsproblemen der Altenarbeit als relativ neuem Bereich der Sozialen Arbeit zusammenhängen (vgl. Diskussionen um Fachlichkeit und Professionalität in der Altenarbeit, z.B. im Band von Schmidt, 1986 oder bei Kardorff, 1993). Das 'neue Altersbild' kann hier als Angebot einer Corporate Identity für die Altenarbeit betrachtet werden, das allein schon durch die Suggestion eines unversöhnlichen Gegenübers von aufgeklärter Wissenschaft und vorurteilsbeladener Gesellschaft verlockend wirken mußte: Ein so dramatisches Rationalitätsgefälle böte natürlich einen besonders schönen Hintergrund für die Etablierung 'gerontologischer Expertenschaft'. Zusätzlich attraktiv erschien dieser Identitätsentwurf sicher auch dadurch, daß mit dem 'neuen Altersbild' ein theoretisches Wissen vorzuliegen schien, das sich leicht in praktische Konzepte übersetzen ließ, sei es in entsprechende 'geragogische Aufklärung' durch Medien (z.B. durch 'Seniorenzeitschriften': Carls, 1990), Seniorenberatung, 'Altenbildung' (Nittel, 1990) oder übergreifende 'Geroprophylaxe', die nach Ursula Lehr schon im 'Kindes- und Jugendalter' begonnen werden sollte (Lehr, 1991b, 183). Wo immer die Altenarbeit oder Teile der Altenarbeit eine tragfähige Identität finden mögen - zwischen den Fronten des 'neuen' und des 'negativen Altersbildes' wird es nicht gelingen. Dafür ist die Autopoiesis, die 'Selbst-Erdichtung', dieser Auseinandersetzung zu offensichtlich. Erste Hinweise, daß die Schlachten der Protagonisten des 'neuen Altersbildes' gegen fiktive Gegner geführt werden könnten, gibt es ja jedesmal schon, bevor überhaupt zum Kampf angesetzt wird. So wie einst Don Quixote seinem 'begriffsstutzigen' Publikum erst die Ungeheuer beschreiben mußte, vor denen es dann errettet wurde, malen die Streiter des 'neuen Altersbildes' ihrer Leserschaft zunächst schillernd und detailliert die Ungeheuerlichkeiten des 'negativen Altersbildes' aus, bevor sie zu dessen 'Widerlegung' ansetzen. Dabei sind die Riesen bei Don Quixote scheinbar sehr groß ('mit langen Armen, einige fast zwei Meilen lang') und eigentlich unübersehbar, das 'negative Altersbild' scheinbar allgegenwärtig und also jedem bekannt. Trotzdem müssen die Leser offenbar zuerst mit ihrem 'vorwissenschaftlichen Altersbild' vertraut gemacht werden ('Ältere Menschen sind passiv, unbeweglich, uninteressiert, wenig begeisterungsfähig, leicht ermüdbar, vergeßlich, krank, verbittert, intolerant, asexuell, engstirnig' usw.: ->4), bevor sie wissenschaftlich aufgeklärt werden können ('die Alten sind ganz anders' - oder könnten es bei Aufgabe ihrer falschen 'Autostereotypen' jedenfalls leicht sein ->22). Die bekämpften 'negativen Auto- und Heterostereotypen' sind denn auch eine Fiktion, die im wesentlichen auf einer Verwechslung beruht: der voreiligen Annahme, daß gerontologische Laien 'das Alter' mit einer Zahl beginnen lassen und sich damit in der Beschränktheit ihrer Begrifflichkeit von der Gerontologie des 'neuen Altersbildes' fundamental unterscheiden. Das Gegenteil aber scheint der Fall zu sein: Wenn Menschen sich über 'alte' oder 'ältere' Menschen äußern, dann meinen sie eben nicht - wie meist unterstellt - die 'über 60- oder über 65jährigen'. Dabei geht es nicht um ein Gefeilsche um Zahlen ('alt mit 75'?), sondern um die einfache Beobachtung, daß, wo gerontologische 'Laien' vom 'Alt-Sein' reden, je nach Kontext alles Mögliche angesprochen sein kann. In den seltensten Fällen werden damit einfach alle 'über 65jährigen' gemeint sein. Ob jemand als 'alter Mensch' tituliert wird, hängt eben nicht von leicht erkennbaren, homogenen und stabilen Merkmalen ab. Das aber wäre die Mindestvoraussetzung für die Stereotypisierbarkeit 'alter Menschen'. Gleichzeitig wird gerade in 'Altersbild'- und anderen gerontologischen Studien nach den üblichen terminologischen Bemühungen ('psychologisches Alter' etc.) häufig doch wieder konkludent oder explizit ein kalendarischer Altersbegriff verwendet. Kommen andere Altersbegriffe doch mal zum Zuge, erinnern sie kurioserweise gerade an die verfemte 'Defizittheorie'. Denn was soll man sich z.B. unter 'psychologischem Altern' anderes vorstellen als 'unwiederruflich fortschreitenden geisten Abbau'? Es hieße über das Ziel hinausschießen, wenn hier der Eindruck entstünde, daß es keine negativen Altersbilder gibt. Natürlich gibt es das Bild der einsamen, schwarz gekleideten 'alten' Frau - wie es eben auch 'alte' Frauen gibt, die sich schlicht kleiden oder einsam sind. Natürlich gibt es Barrieren der Verständigung zwischen den Generationen und entsprechend einfache, verständnislose Deutungen über Mitglieder anderer Altersgruppen: 'Computerkids' auf der einen, 'die alte Frau am Fenster' auf der anderen Seite. Verständigungsbarrieren, die durch die Bekämpfung 'falscher Stereotypen', aber auch durch modernere 'geragogische Maßnahmen' (die 'Jungen' zeigen den 'Alten' den Umgang mit Computern, die 'Alten' revanchieren sich mit Erzählungen zur Stadtteilgeschichte) nicht leicht aufzulösen sein werden. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit solchen Identifikations- und Abgrenzungsweisen aber setzt mehr voraus als einen 'Altersbild'-Jargon, der auf affektive Dispositionen bezüglich der Gruppe der über 65jährigen fixiert ist. Um den Begriff 'Altersbild' wieder als Metapher für eine vorsichtige Umschreibung eines komplexen Gegenstandsbereiches verfügbar zu haben, müßte man zunächst von seiner quantifizierenden Forschungsmethoden dienenden Variabilisierung abkommen. Die Vorstellung, jeder Mensch habe ein abrufbares 'Altersbild' parat, das sich irgendwo zwischen 'negativ' und 'positiv' vermessen läßt, geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Denkbar wäre demgegenüber eine Betrachtung der sozialen Konstruktion verschiedener 'Altersbilder'. Man muß davon ausgehen, einfach weil es in der modernen Lebenswelt und ihren unterschiedlichen Rollenvorgaben praktisch ist, daß jeder Mensch multiple Altersbilder kennt, die je nach situationeller Erfordernis eingesetzt oder im Verlauf einer Interaktion neu konstruiert werden. So dient die Selbstbezeichnung als 'alt' bei der Beantragung eines 'Seniorenpasses' oder einer 'Altenwohnung', bei aufzuteilenden Gartenarbeiten oder dem 'ernsten Wort' mit Jüngeren ganz unterschiedlichen Zwecken. Entsprechend vielfältig ist der transportierte Sinn. Dieser Komplexität kann man durch Abfragen von Aussagen zu allgemeinen Items über das 'Alter' oder 'alte Menschen' nicht gerecht werden. Das Tragische bei einer vorschnellen Bekämpfung des 'negativen Altersbildes in der Gesellschaft' ist, daß damit von vornherein die Möglichkeit verstellt wird, das spezifische Erfahrungswissen von Laien und ihre Interpretationen wirklich wahrzunehmen und zu nutzen. Möglicherweise könnte ja doch Sinnvolles dabei sein. * Auszuschließen ist jedenfalls nicht, daß gerontologische Theoriebildung und geragogische Praxis von lebensweltlichem Wissen und Deutungssystemen der Laien im Einzelfall auch etwas lernen könnten.
Weitere Linkhinweise: Homepage:
www.ccarls.de
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